HIV-Infektion – vieles hat sich geändert

Es ist noch gar nicht lange her, genauer - bis in die 1990er Jahre wurde schwangeren Frauen eine Abtreibung empfohlen, wenn sie HIV-infiziert waren. Immerhin bestand die Gefahr, dass dem Kind kein normales Leben möglich sei. Diese Zeiten sind vorbei.

HIV und Schwangerschaft HIV-Infektion - vieles hat sich geändert (© Oksana Kuzmina - Fotolia.com)

Heute können HIV-infizierte Frauen gesunde Kinder zur Welt bringen und selbst alt werden. Lediglich in einem Punkt hat sich seit damals nichts geändert: HIV-Infizierte werden sozial ausgegrenzt.

Es ist nicht unbedingt ungewöhnlich: zuerst die Freude – dann das Entsetzen. Eine Frau erfährt von ihrer Schwangerschaft und kurz danach von ihrer HIV-Infektion. Annette Haberl, Ärztin im HIV-Zentrum der Frankfurter Uniklinik erklärt, dass dies eine traumatische Situation für die Betroffenen sei. Obwohl die Krankheit heute völlig kontrollierbar ist, hat sich die Gesellschaft noch nicht an diesen Umstand gewöhnt. HIV-Infizierte geistern auch heute noch als Schreckgespenst durch die Köpfe der meisten Menschen.

Schwangere und HIV

Das Robert-Koch-Instituts (RKI) schätzt, dass pro Jahr etwa 200 bis 250 Geburten stattfinden, bei denen die Mutter HIV-infiziert ist. Cornelia Feiterna-Sperling, Kinderärztin in der HIV-Kindertagesklinik der Charité in Berlin, geht indes sogar von einer bundesweiten Zahl von 350 solcher Geburten aus. Immerhin sind es allein an der Berliner Charité durchschnittlich 50 im Jahr. Dabei wissen die meisten Frauen nichts von ihrer Erkrankung, doch hierüber gibt es keine genauen Zahlen.

Annette Haberl leitet ein Projekt, welches ein bundesweites HIV-Schwangerschaftsregister initiiert. Sämtliche Ärzte, die mit schwangeren Patienten zu tun haben, können sich per Dateneingabe an dem Projekt beteiligen. Da es sich um ein relativ junges Projekt handelt, wird die Auswertung natürlich noch einige Zeit in Anspruch nehmen.

Wird eine HIV-Infizierte Patientin rechtzeitig behandelt, kann diese ihr Kind meist auf natürlichem Weg gebären. Die Gefahr, dass die Mutter den Virus auf ihr Kind überträgt, liegt mittlerweile bei unter einem Prozent, erklärt Annette Haberl. Im Vergleich: Ohne eine Behandlung steigt der Prozentsatz auf 20 bis 25 Prozent und wird das Kind gestillt, steigt er sogar auf bis zu 40 Prozent.

Mütter, die den HIV-Virus in sich tragen, sollten ihr Kind generell nicht stillen, egal wie gut sie selbst mit Medikamenten eingestellt sind. Genau diese Medikamente gehen in die Muttermilch über und könnten dem Säugling schaden.

Die Kehrtwende

Das Jahr 1996 war ein gutes Jahr in der Medizinforschung. Denn seither lässt sich der Virus mit einer antiretroviralen Therapie aus mindestens drei Wirkstoffen wirksam bekämpfen. Doch trotz dieser Erfolge bleibe das Leben eines HIV-Infizierten eingeschränkt, darauf weist Feiterna-Sperling hin. Immerhin müssen die Betroffenen bis an ihr Lebensende täglich Medikamente einnehmen. Vor allem die Nebenwirkungen wie etwa Übelkeit, Hautausschläge oder Schlafstörungen können den Betroffenen zusetzen.

Es gibt Schätzungen, wonach rund 15.000 Frauen in Deutschland mit HIV infiziert sind. Die Gesamtzahl aller infizierten Menschen beträgt nach Einschätzung des RKI rund 78.000 Menschen.

Die Neuansteckung unter der weiblichen Bevölkerung wird mit 400 Fällen pro Jahr vermutet. Allerdings ist eine Diagnose erst einmal schwer, da sich zu Beginn der Krankheit kaum Symptome zeigen.Aus diesem Grund bekommen viele erst nach vielen Jahren die Diagnose einer HIV-Infektion.

Gynäkologen wird geraten, ihren Patienten bereits beim ersten Gespräch einen HIV-Test zu empfehlen. Denn die wenigen Fälle, in denen das Virus an das Kind weitergegeben wird, zeigen es: Niemand wusste von der Infektion, dementsprechend wurde die Mutter auch nicht gegen den Virus behandelt.

Auch Kinder und Jugendliche sind betroffen

Was die Zahl infizierter Kinder und Jugendliche angeht, schwanken die Zahlen. Das RKI in Berlin schätzt die Anzahl der Kinder unter 14 auf bundesweit etwa 200 – Feiterna-Sperling geht von rund 500 bis 600 Erkrankungen aus erkrankter Kinder und Jugendlicher aus. Die Charité betreue derzeit mehr als 60 Kinder und Jugendliche, so die Kinderärztin.

Wie es um die Gesundheit der heutigen Säuglinge im späteren Lebensalter bestellt ist, kann niemand abschätzen. Obwohl die modernen Medikamente gut verträglich sind und kaum noch Nebenwirkungen zeigen, bleibt ein Umstand unberechenbar: die eigene Lebensführung. Die Eltern sind dafür verantwortlich, dass ihre Kinder die Medikamente in der richtigen Dosis und zur rechten Zeit einnehmen. Die meisten Kinder akzeptieren diesen Umstand schnell als normal – problematisch wird es oft, wenn es auf Klassenfahrt geht und noch problematischer wird es, wenn sich die Pubertät nähert.

Die Wahrheit sagen – oder nicht?

Die Berliner Kinderärztin Cornelia Feiterna-Sperling rät den Eltern dazu, ihren Kindern altersgerecht die Wahrheit zu sagen. Zu einem Vierjährigen könne man beispielsweise sagen, dass das Blut krank sei, doch gegenüber einem Elfjährigen kann man durchaus den Ausdruck „HIV“ verwenden. Meist trauen sich die Mütter nicht, ihrem Nachwuchs die Wahrheit zu sagen. Sie fürchten Vorwürfe. Doch die Berliner Kinderärztin kann die Mütter beruhigen, denn sie hat noch nie von solch einer Reaktion gehört, wie sie erklärt.

Sie weist vielmehr darauf hin, dass es sehr viel schwerer ist, die Jugendlichen vor allem während der Pubertät dazu zu bewegen, ihre Medikamente korrekt einzunehmen. Auch die ersten Liebschaften werden in der Pubertät angebandelt, was für viele Jugendliche ein Problem ist. Zudem fällt ausgerechnet in diese schwierige Lebensphase der Wechsel weg vom Kinderarzt hin zu einem „normalen“ Arzt.

Die Gefahren der Pubertät

Feiterna-Sperling spricht aus Erfahrung. Sie sagt, dass es immer wieder Jugendliche gibt, die plötzlich ihre Medikamente absetzen. Das führt dazu, dass die Viruslast hochgeht und die Zahl der Helferzellen sinke, so die Ärztin.
Weiter drohen natürlich auch die ganzen Folgen einer nicht therapierten HIV-Infektion: Herpes, Zytomegalie, Toxoplasmose bis hin zur Lungenentzündung. Es ist traurig, aber wahr: Nicht alle Jugendlichen schaffen den Sprung ins Erwachsenenalter. Sie geben sich vorher auf.
Nimmt ein Jugendlicher seine Medikamente nicht mehr, fürchtet er sich in den meisten Fällen davor, dass sein Umfeld von seiner Erkrankung etwas mitbekommen könnte. Die Gesellschaft ist leider noch nicht so weit wie der medizinische Fortschritt. Annette Haberl ist davon überzeugt, dass die Ursache für die gesellschaftliche Ablehnung darin zu suchen ist, dass es sich um ein sexuell übertragbares Virus handelt. Das sexuelle Vorleben eines Patienten rückt plötzlich in den Fokus. Früher versuchten die Ärzte ihre Patienten zur Offenheit zu ermuntern, damit sich in der Gesellschaft etwas ändert. Doch wer heute Frauen befragt, die sich geoutet haben, bekommt meist zur Antwort, dass sie es nicht noch einmal so machen würden.

Nichts sagen ist empfehlenswert

Heute empfehlen die meisten Ärzte, darunter auch Haberl, es nicht mehr jedem zu erzählen, auch wenn es belastend ist.

Übrigens ist die Ansteckungsgefahr im Kindergarten so gering, dass sich keine Mutter Sorgen machen muss. Selbst wenn sich zwei Kleine im Spiel so die Köpfe aneinanderschlagen, dass Blut fließt, geht die Gefahr einer Ansteckung gen Null. Auch das gemeinsame Essen und Trinken aus dem gleichen Geschirr ist kein Risiko – zumindest dann nicht, wenn das Kind optimal medikamentös eingestellt ist. Nicht umsonst muss solch eine Erkrankung in Deutschland nicht mehr offengelegt werden.

Quelle: Welt.de

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